Wieder poste ich hier mit Hilfe eines fremden Beitrags. Diese Träumerei habe ich übernommen aus dem Blog „Wunschdenken“ von Gunnar Kaiser, geschrieben von Tarek Schwarz. Ich habe ihn ein bisschen gekürzt und auf mich angepasst.
„Wisst Ihr, was ich mir hin und wieder vorstelle – ich stelle mir vor, wie diejenigen, die innerhalb der letzten beiden Jahre alles mitgemacht und den Großteil davon verteidigt haben, sich ein Herz fassen, Zettel und Stift in die Hand nehmen und einen Brief schreiben. Einen versöhnlichen Brief, eine mutige, wenngleich schmerzhafte Selbstreflexion über die Gründe ihres Verhaltens, einen Brief, in dem sie zugeben, dass an der stetigen und immer lauter werdenden Kritik etwas dran ist. Einen Brief, der letztlich zur Verständigung beitrüge und der folgendermaßen klänge:
Liebe Maßnahmengegner, liebe Kritiker, liebe Demonstranten, liebe Menschen,
ja, Ihr hattet recht! Viele Maßnahmen waren unnötig, unverhältnismäßig und schädlich. Die Datenerfassung war schlampig, die Begründungen widersprüchlich und die wissenschaftliche Evidenz für das Vorgehen dieser und der letzten Regierung ist nach wie vor lediglich eins: inexistent. Das wissen wir nun ebenfalls, auch wenn es uns einige Überwindung gekostet hat, es einzusehen. Wir wünschen uns deshalb umso mehr, dass Ihr unseren Brief mit offenen Augen und Ohren lest, und wir verwahren uns gegen jede Beschimpfung oder Diffamierung von jenen, die uns auf ihrer Seite wähnten. Denn wir haben uns geirrt. Und es ist Teil eines offenen Dialoges, dem eigenen Irrtum ins Gesicht zu sehen.
Wir haben eine Weile gebraucht, um uns an den Gedanken zu gewöhnen, dass wir falsch lagen. Leise aber kontinuierlich baute sich der Zweifel in unseren Köpfen ein Nest. Zunächst konnten wir ihn ignorieren und hatten sowieso andere Dinge zu tun, als uns um jede Sau zu kümmern, die durchs Dorf getrieben wurde. Immer wieder landeten wir in Diskussionen, die uns nervten, weil uns manchmal die Aufregung unserer Gesprächspartner albern erschien und wir schlicht nicht mitreden konnten oder wollten. Tragisch zu sehen, wie Familien und Freundschaften durch solche Diskussionen zerbrachen. Wir fragten nicht viel, sondern machten weiter mit, was notwendig schien. Wir setzten zu dieser Zeit unser vollstes Vertrauen in das, was uns von politischen und kirchlichen Organisationen vermittelt wurde – und das im Namen der Solidarität.
Wir haben mitgemacht. Zwar nicht gänzlich und nicht vorrangig, aber es gab Momente, in denen uns aufgrund der tendenziösen und bösartigen Berichterstattung über Kritiker und Demonstranten ein Gefühl tiefer Zufriedenheit und Häme überkam, weil es wieder einmal die anderen waren, die es erwischt hat – und nicht wir. Wir hatten uns schließlich an die Regeln gehalten.
Wir haben mitgemacht, weil wir Angst hatten – zuerst vor einer Erkrankung, dann vor den Maßnahmen und schließlich vor der um sich greifenden sozialen Ausgrenzung.
Wir haben mitgemacht, damit wir unseren Alltag „normal“ gestalten und unsere „Freiheiten“ aufrechterhalten wollten. Als klar wurde, dass das Virus nicht so verheerend ist, wie Politik und Medien ständig behaupteten, haben wir mitgemacht, um vor uns selbst als „geradlinig und standhaft“ dazustehen. Wir mussten weiterhin glauben, dass die Lage dramatisch war, denn andernfalls könnten wir unser Verhalten vor uns selbst und anderen nicht mehr rechtfertigen. Zu dieser Zeit ahnten wir bereits, dass die Maßnahmen, die eingesetzt wurden, längst vom ursprünglichen Ziel entkoppelt waren. Sie dienten nicht mehr der Gesundheit, sondern politischem Kalkül.
Nachdem immer öfter über Polizeigewalt und sogar den Einsatz von Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten berichtet wurde, bekamen wir Angst vor dem langen Arm des Staates und flüchteten uns in die Arbeit, denn wir wollten nicht, dass uns dasselbe zustößt, wie denen, die sich offen gewehrt haben. Wir haben mitgemacht, weil wir lange nicht gesehen haben, wie sehr andere unter der aktuellen Politik und ihren Beschlüssen litten und noch immer leiden. Wir haben mitgemacht, weil wir uns am Ende nichts vorwerfen lassen wollten. Wir haben mitgemacht, weil es uns zuallererst um das Gefühl ging, das Richtige zu tun – nicht darum, dieses Gefühl kritisch zu prüfen und es gegebenenfalls zu hinterfragen – das kam später, als wir am eigenen Leib erfahren mussten, was es bedeutet, ausgegrenzt und zu medizinischen Eingriffen gezwungen zu werden. Kein Zutritt ohne Schein, keine Arbeit ohne Impfung.
Wir wollten diese Dinge nicht sehen. Wir wollten nicht wahrhaben, welche Rolle wir dabei spielten, weil diese Einsicht für uns zu schmerzhaft war. Wir mussten erst an den Punkt gelangen, an dem der Schmerz unerträglich wurde, sodass wir ihn nicht mehr ignorieren konnten.
Heute schmerzt uns unsere Selbstverleugnung und Unfairness, weshalb wir uns bei denen entschuldigen möchten, die uns im Laufe der Jahre gewarnt, erinnert und um Vorsicht gebeten haben: Ihr hattet Recht mit Eurer Einschätzung und es tut uns leid, dass wir sie so lange als unsinnig ignorierten oder abtaten.
Wir entschuldigen uns bei Euch, weil wir wissen, dass viele andere es sich leicht machen werden. Sie werden ihre Sicht auf die Dinge erst dann anpassen, wenn das Geschehene längst aufgearbeitet ist. In weiter Zukunft, wenn das Aktuelle der Vergangenheit angehört und mit größerem Abstand betrachtet werden kann, werden auch sie mit dem Kopf schütteln und dasjenige „Unrecht!“ nennen, das sie heute durch ihr Schweigen stützen. Die Hauptsache, der sie sich heute verschließen, muss erst zur Nebensache, muss erst „ungefährlich“ werden, bevor sie sich – wenn überhaupt – erlauben, sich kritisch zu äußern.
Am offenen Feuer verbrennt man sich die Hände. Wir haben uns nun auch die Hände verbrannt. Es war schmerzhaft und kostete uns Überwindung. Aber wir möchten sie Euch reichen und mit Euch sprechen, damit wir überwinden können, was uns in den letzten Jahren entzweit hat.
… Ja, ich wünschte, es gäbe so einen Brief. Vielleicht wird er eines Tages geschrieben. Wenn nicht, schreibe ich ihn eben selbst.“